Jede Gegenwart ist eingebettet in Geschichte, jeder sichtbare Ort in einen imaginären Raum des Vergangenen. Wo historische Spuren sich finden, bedürfen sie der Übersetzung. Zeugnisse (Gebäude, Ruinen, Straßen-führungen usw.) müssen lesbar werden und mit Bildern verbindbar. Wichtig sind Namen – von Menschen sowohl als von Orten. An sie knüpft die erzählende Erinnerungsarbeit an. Neben „archäologisch” freigelegten „Dokumenten”, gibt es auch die bewusst gesetzten Erinnerungszeichen, Denkmäler oder Gedenkstätten. Hinweistafeln an einem Haus lassen uns innehalten, machen erahnbar, wer hier einmal gelebt haben mag. Aber alle diese Symbole des Erinnerns sind selbst dem Wandel ausgeliefert. Monumente werden aufgestellt und auch wieder abgeräumt – nach einem Systemzusammenbruch (wie dem der DDR) wird Geschichtspolitik sinnlich erfahrbar: Bisher verdeckte Erinnerungen werden freigelegt, andere aus dem öffentlichen Gedächtnis getilgt. Die neun Toten aus dem „Keglerheim” sind dafür ein Beispiel. Am 25. Januar 1933 bei einem Polizeieinsatz erschossen, nachdem sie sich als Teilnehmer einer gegen die NSDAP gerichteten Demonstration in den „Wettiner Sälen” getroffen hatten (über der Bühne prangte die Huldigung „Heil dem Fürstenhause”), wurden sie in der DDR als Märtyrer des Kampfes gegen den Faschismus geehrt. Mitte der 1990er Jahre fielen die Erinnerungstafeln an die Getöteten „einer Baumaßnahme” zum Opfer. Aber man sieht: auch dies ist kein „letztes Wort” – die „große Geschichte”, wie die des Alltags, wird immer neu erzählbar und mit den je eigenen Erfahrungen verbunden.
Prof. Dr. Karl-Siegbert Rehberg